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Op-ed: 'Endspurt in der EU Digitalpolitik' (RDV 4/23)

My next 'Bericht aus Brüssel' in the 4th issue in 2023 of the RDV (Fachzeitschrift für Datenschutzrecht) assess the last months of legislative activities before the EU elections in June 2024.


Below my contribution for RDV 4/23:


Mitte Mai hat der Rat der Europäischen Union entschieden: die nächste Europawahl findet in weniger als zwölf Monaten vom 6. bis zum 9. Juni 2024 statt. Ungeachtet dessen befinden sich noch 28 Digitalgesetze in den politischen Verhandlungen in Brüssel. Die Europäische Kommission plant darüber hinaus die Präsentation von 9 weiteren Vorschlägen bis Ende des Jahres. Ist es realistisch, dass alle 37 Gesetzesvorhaben bis zur Europawahl offiziell Inkrafttreten? Grundsätzlich ist diese Frage mit 'nein' zu beantworten. Evidenzbasierte Politik, welche die Entscheidungsträger zwingt den Vorschlag ausführlich zu analysieren und die verschiedenen Interessen miteinander auszubalancieren, benötigt je nach Gesetz wohl mindestens 12 Monate intensiver Verhandlungen. Selbst nach einer Einigung zwischen Vertretern des Europäischen Parlaments und der EU Mitgliedstaaten stehen noch die Abstimmungen im Plenum und der Fachministern vor. Auch die sprachliche und rechtliche Überprüfung durch Spezialisten, das Übersetzen des Textes in die 24 EU Amtssprachen sowie die Veröffentlichung des finalen Gesetzes im offiziellen EU Amtsblatt dauert mehrere Wochen. Damit eine der 37 Initiativen noch vor der Wahl zum Gesetz werden kann, müssten die jeweiligen politischen Verhandlungen bis spätestens Ende Januar 2024 abgeschlossen sein. In den meisten Fällen dürfte nicht genügend Zeit zur Verfügung stehen.


Das von diesen etablierten Erfahrungswerten aber aufgrund von massivem politischen Drucks immer mehr abgewichen wird, zeigte zuletzt der Data Act. Der Vorschlag gilt als eines der wichtigsten aber auch kompliziertesten Digitalgesetze dieser Legislaturperiode. Der Plan der Kommission: das Aufbrechen der existierenden Datensilos damit gerade die kleinen und mittleren EU-Marktakteure die ungenutzten Datenschätze verwerten können. Während dieses Vorhaben grundsätzlich sehr sinnvoll erscheint, wurden die konkreten Vorschläge der EU allerdings von fast allen Akteuren, von US Technologiekonzernen über Europäische KMUs bis hin zur Zivilgesellschaft, kritisiert. Auch der Bericht des Europäischen Parlaments und die generelle Ausrichtung des Rates halfen wenig dabei der großen Skepsis entgegenzuwirken. Letztendlich schlossen die EU Gesetzgeber die Trilogverhandlungen in rekordverdächtigen drei Monaten ab. Es schien am Ende wichtiger zu sein den Data Act öffentlich als Gesetz zu verkünden als sicherzustellen, dass die Details stimmen und man mit ihm die anvisierten Ziele überhaupt erreichen kann. Ähnliches passierte schon 2022 beim Digital Services Act. Die Französische Regierung wollte die politische Einigung unbedingt während ihrer Ratspräsidentschaft erzielen und die Erfolgsnachricht noch vor den eigenen nationalen Wahlen verkünden. Dies klappte zwar äußerst knapp, viele Details mussten aber auf technischer Ebene wochenlang nachverhandelt werden. Beide Beispiele stehen für einen grundsätzlichen Trend in Brüssel, welcher den Prinzipien zur besseren Rechtsetzung konträr entgegensteht.


Keine guten Aussichten für die nächsten 6 Monate. Stand die Zeit vor der Europawahl traditionell in Brüssel schon immer für großen Emotionen, könnte die faktische Nichtbeachtung der besseren Rechtsetzungsagenda nun dazu führen, dass viele Initiativen noch schnell beschlossen werden, um politische Akzente im Wahlkampf zu setzen. Zumindest aus rechtlicher Sicht ein höchst problematisches Vorgehen. Wie so häufig in meinem 'Bericht aus Brüssel' ein kurzer Blick zur KI-Verordnung, wo man bisher einen anderen Weg gegangen ist. Nach 43 technischen Sitzungen und 12 Treffen auf politischer Ebene in knapp einem Jahr konnte sich das Europäische Parlament im Juni über die insgesamt 89 Erwägungsgründe, 85 Artikel und 9 Annexe final einigen. In mühsamer Kleinstarbeit ist es dem EU Ko-Gesetzgeber zum Beispiel gelungen, die vielen Überschneidungen und Widersprüche zu anderen Digitalgesetzen wie der DSGVO aufzuheben. Zudem wurden wichtige systematische Änderungen vorgenommen, so dass die KI-Verordnung nun mehr auf den Kontext, in welchem ein hochriskantes KI-System genutzt wird, eingeht und auch dem rasanten technologischen Fortschritt mit mehr Flexibilität entgegentritt. Die EU ist daher auf einem guten Weg die KI-Technologien zukunftssicher zu regulieren. Dennoch hört man seit einigen Wochen mehr und mehr Abgeordnete, Vertreter der Mitgliedstaaten und der Kommission davon sprechen, dass in den gestarteten Trilogverhandlungen Geschwindigkeit wichtiger sei als Qualität. Doch was ist mit innovationsfördernde Maßnahmen? Wie soll die KI-Verordnung national umgesetzt werden? Welche Rolle spielen Kommission und AI Office gegen Fragmentierung? Wie verhindert man, dass die neuen Regeln wieder zu einer Markkonzentration führen, da sich vor allem KMUs mit der Gesetzeseinhaltung schwertun? Mit viel Glück und Geschick ist es möglich diese Fragen bis Januar aufzulösen. Falls es aber nicht gelingt, ist im Falle der KI-Verordnung, wie auch bei allen anderen 36 verbleibenden Initiativen, zu hoffe, dass Qualität immer im Vordergrund steht. Sollten bis Juni 2024 wirklich alle Vorhaben verabschiedet worden sein, hätte die EU insgesamt 104 Digitalgesetze. Viele davon widersprüchlich und überlappend zueinander. Weder der Wirtschaft, Wissenschaft noch der Zivilgesellschaft wäre damit geholfen. Am wenigsten aber der EU, welche sich noch mehr Kritik ausgesetzt sehen würde.


More information about the RDV magazine can be found here. The text above is published on this website in agreement with DATAKONTEXT GmbH and Prof. Dr. Schwartmann.

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